Vita

Christian Wenger (Jahrgang 47) lebt in der Alta Langa im Piemont, wo er eigenen Wein anbaut und in Hamburg. Er schrieb viele Jahre über Wein für die Financial Times, Stern, Feinschmecker, Alles über Wein u.a. Parallel betrieb er das W+P Büro für Kommunikation, Hamburg, spezialisiert auf ganzheitliche Corporate Identity, Strategien, Konzepte, Projekte für Unternehmen, Medien und Märkte. U. a. für Schweizer Rück, Deutsche Börse, Fraunhofer Gesellschaft. Davor Studium der Germanistik und Soziologie, Redakteur bei DIE ZEIT und ZEITMagazin, Vorstandsassistent und Objektmanager bei Gruner+Jahr, Verlagsleiter und Geschäftsführer bei WIRTSCHAFTSWOCHE, Düssseldorf, MANAGER MAGAZIN und DER SPIEGEL, Hamburg.

Christian Wenger, Studies of Literature and Sociology, is Wine Writer for „Stern”, „Financial Times”, „Süddeutsche Zeitung”,”Der Feinschmecker” and „winedine.de” Member of FIJEV International Federation of Wine and Spirits Writers, Slow Food. Christian lives in Piemonte and Hamburg and loves Nebbiolo and all good sparklings.

WINEDINE

Christian Wenger über Weine, Weinproduzenten, Restaurants & Hotels und Kulinarisches

Eine Lanze für den Pelaverga
Der Piemont erstreckt sich von der Schweizer Grenze bis Ligurien. Hauptstadt ist Turin. Keine andere Provinz Italiens hat unter Feinschmeckern einen besseren Ruf als das Gebiet der Langhe, italienisch Langa, begrenzt von den Orten Alba, Dogliani und Canelli. Hier liegen die Dörfer mit den für Weinfreunden magischen Namen: Barolo, Barbaresco, La Morra, Serralunga, Castiglione Falletto, Monforte d’Alba und Verduno. Angefangen hat der Boom für die Weine aus dem Piemont in den achtziger Jahren, als die Söhne und Töchter der Weinproduzenten der Massenproduktion den Kampf ansagten. Rigoros räumten sie mit der traditionellen Weinherstellung auf: Im Weinberg reduzierten sie den Ertrag, im Keller suchten sie nach neuen Methoden für die Verarbeitung und Vinifikation. Die Wogen gingen damals hoch. Die jungen Wilden wurden unterstützt und gefördert von einem, der schon ganz oben war und dessen Weine Kultstatus erreicht hatten, Angelo Gaja aus Barbaresco. Aber es wäre ungerecht, die Langa nur über den Wein zu definieren. Die Küche gilt als die raffinierteste und beste Italiens. Alle Arten von handgemachten Eierteigwaren (Tajarin, Agnolotti al plin) oder Carne Cruda (feinstes rohes Kalbfleisch mit Olivenöl und Parmesan) aus dem Fleisch der Rasse Fassone – beide Gerichte in der Saison verfeinert mit etwas gehobeltem weissem Trüffel. Brasato (Schmorbraten) in Barolo, herrliche Käse, Flans aus Gemüse, Paprika mit der berühmten Käsesauce Fonduta, gerührt aus Fontinakäse und Eigelb.

Sind es im Oktober und November die weissen Trüffel auf den Eiernudeln, die vor allem an Wochenenden Touristen aus der Schweiz, Skandinavien, Deutschland und Österreich, aber auch Einheimische aus Turin und Mailand in Scharen anziehen, so begeistern die Weine aus der Langhe rund ums Jahr: Die wichtigste Traubensorte ist die Nebbiolo-Traube. Aus ihr entstehen der Barolo und der Barbaresco und natürlich auch der einfachere Nebbiolo. Barbera und Dolcetto sind zwei andere Traubensorten, aus denen Weine mit diesen Namen gemacht werden. Fortgeschrittene Rotweinfreunde kennen noch eine weitere rote Traubensorte: Pelaverga oder ganz korrekt auch Pelaverga piccolo. Diese Traubensorte stammt aus Verduno, aus der nördlichsten Ecke der Langa und wird ausschliesslich in Verduno angebaut. Ganze 30 Hektaren stehen unter Ertrag, bewirtschaftet von derzeit 19 Weinbauern, die daneben auch die klassischen Traubensorten der Langa anbauen und im Zweifel von diesen leben.
Diese Weinbauern taten sich, angeführt von Diego Morra zu „Verduno è Uno“ vor zwei Jahren zusammen, organisierten für Journalisten aus aller Welt eine von dem bekannten Weinjournalisten Jan d’Agata geführte Pelaverga-Degustation (per zoom aus Shanghai) und ein Seminar mit Edmondo Bonelli über Böden und Klima. Dazwischen gab es Gelegenheit, mit den Winzern zu sprechen und andere Weine aus deren Produktion zu degustieren.

Verduno ist ein kleiner Ort mit 500 Einwohnern auf der letzten Hügelkuppe, bevor das Gelände zum Fluss Tanaro abfällt. Mittendrin im grossem Park das imposante Castello di Verduno mit riesigen Suiten und Zimmern. Von März bis Oktober kann man hier lustwandeln, dinieren und dem Wein aus der hauseigenen Cantina zusprechen. Diese pflanzte übrigens den ersten sortenreinen Pelaverga-Weinberg. In den siebziger und achtziger Jahren gehörte das Castello zusammen mit dem Bellavista in Bossolasco und dem famosen Felicin in Monforte zum führenden kulinarischen Dreigestirn der aufstrebenden Langa. Neben dem ehrwürdigen Charme des Real Castello gibt es auch moderne Herbergen in Verduno wie das Lo Speziale, das die Alessandria Fratelli gebaut haben. Auch kulinarisch hat man die Wahl: La Sbornia, Ca’del Re oder die Trattoria I Bercau. Alle der klassischen Piemontesischen Küche verpflichtet. Im Ca’del Re unbedingt das Vitello di Verduno probieren – rohes, mariniertes Kalbfleisch mit der Konsistenz von erstklassigem Schinken! Der Pelaverga ist ein eleganter, leichter Wein von meist hellroter Farbe, der sich durch einen klaren, angenehmen Geruch von roten Beeren und Früchten mit einer Note von Gewürzen und weissem Pfeffer auszeichnet. Trotz etwas Gerbsäure im Abgang ist er trinkig, saftig, unkompliziert und passt bestens als anregender Aperitif, zu Charcuterie, hellem Fleisch, Pasta und den weichen Käsesorten des Piemonts. Pelaverga kommt ausgesprochen gut mit den zwei unterschiedlichen Sedimentböden in Verduno zurecht. Der eine (St. Agatha, Tortonium) entstand in der Tiefe des von Venedig hineinragenden Arms des Mittelmeers, der vor acht Millionen Jahren die gesamte Fläche zwischen den Schweizer Alpen, den Französischen und den Italienischen Seealpen bedeckte. Er erstreckt sich westlich von Verduno Richtung La Morra. Schicht für Schicht, etwa 60% Schlick, 30% Ton und 10% Sand lagerten sich die von Kalkstein dominierten Abriebe der von den Flüssen der umliegenden Alpen ins Meer getragenen Gesteine ab, dazwischen fossile Schalen von Meeresmikroorganismen und anderem Meeresgetier. Vor rund sechs Millionen Jahren (Messinium) war das Mittelmeer beim heutigen Gibraltar vom Ozean abgeschnitten und erlebte einen intensiven Verdunstungsprozess, der den Wasserstand bis um 1500 Meter absenkte. In der Folge bildeten sich Salzlagunen, in denen sich Kreidkristalle ablagerten, der heute als natürlicher Dünger wirkt und das Wasser speichern kann. Diese Formation erstreckt sich von Verduno nach Westen bis an den Fluss Tanaro.

Die jährlich knapp 204.000 Flaschen Pelaverga haben inzwischen viele, meist einheimische, Liebhaber. Deswegen ist der Wein auf vielen Weinkarten im Piemont häufig ausgetrunken. Pro Flasche liegt man wie beim beliebten Dolcetto unter 20 Euro.Wer sich rechtzeitig gekümmert hat, freut sich über Flaschen meiner derzeit persönlichen Favoriten: Alessandria Fratelli, Commendatore G.B. Burlotto, Castello di Verduno, Poderi Luigi Einaudi, Diego Morra und auch Arnoldo Rivera, Massara, Scarpa und Cadia.


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